Sinimbu, den 4. September 1909
Liebe Verwandten
Diesmal haben wir lange auf uns warten lassen. Ihr werdet wohl schon
gedacht haben, die in Brasilien denken nicht mehr an uns. Aber nein,
die Sache ist die, wir schrieben im letzten Brief an Euch, dass wir
noch nicht gleiches mit gleichem vergelten können, weil wir noch
nicht photographiert sind. Da dieses jetzt endlich der Fall ist,
schreiben wir jetzt und senden Euch unser Bild.
Wir sind noch alle gesund und munter, trotzdem der
Gesundheitszustand im ganzen Munizip (Verwaltungsbezirk) ein
schlechter war. Die gelben Pocken sind ins Land geschleppt worden
und gingen von Haus zu Haus. Bis jetzt sind wir verschont geblieben.
Dr. med. Hardegger und Heinz von Ortenberg haben die Impfung
angeordnet. Viele Familien ließen impfen um sich vor dieser
boshaften Krankheit zu schützen. Auch wir haben den Versuch gemacht.
Die meisten Leute halten nichts von einer Impfung und stehen ihr
misstrauisch gegenüber. Die Regierung legt in Brasilien keinen Zwang
auf, um die Bevölkerung zur Impfung zu veranlassen, und deshalb wird
ihr aus dem Wege gegangen. Sterbefälle an den Pocken kamen
glücklicherweise sehr vereinzelt vor. Eine Nichte von meinem Bruder
Peter starb daran. Peter Hölz und Familie haben sie auch durchmachen
müssen, sind alle soweit glücklich davon gekommen, nur bei ihm sind
sie durch Verkältung auf die Augen geschlagen und wurde genötigt
sich mehrere Wochen von Pastor Hamman behandeln zu lassen, dem es
geglückt ist ihn wieder ganz herzustellen. Hamman ist ein tüchtiger
Arzt und wohnt in Sinimbu.
Voriges Jahr war die Tollwut unter den Hunden in erschreckender
Weise aufgetreten. Viele Personen wurden von tollen Hunden gebissen.
Ein Sohn von Herrn Lehrer Schieferdecker wurde von einem tollen
Pferd gebissen, selbst eine Mutter wurde von seinem Kind gebissen,
und musste sich ebenfalls wie alle anderen betroffenen Personen ins
Institut nach Rio de Janeiro begeben. Alle die das dortige Institut
aufsuchten wurden wieder geheilt.
Die Ernte war voriges Jahr ganz vorzüglich geraten, dieses Jahr ist
sie weniger gut ausgefallen. Es war das ganze Jahr ziemlich nass,
was zur Folge hatte, das die Ernte bei der Reife beeinträchtigt
wurde. Mais sind 1/3 vom Ganzen faul, Tabak gab dieses Jahr 97
Arrober gegen 146 Ar. Im Vorjahre, der Preis für a. Ar. 3800 gegen
7500 Reis im Vorjahre.
Ein Telephon oder Fernsprecher von Santa Cruz durch Rio Pardinho
Sinimbu bis in die hintersten Kolonien wurde voriges Jahr gebaut von
der Regierung.
Dazumal vor 50 Jahren als wir von Deutschland hier ankamen, hat man
von den wilden Menschen nichts gehört und gesehen, aber jetzt im
Verlauf von 50 Jahren kamen sie hier in verschiedenen Gegenden zum
Vorschein. Vorigen Sommer kamen sie auch durch unsere Pikade. An die
50 – 80 sind es gewesen. Aus nächster Nähe konnten wir sie ansehen,
sie sind zutraulicher geworden und betteln sich bei den Deutschen um
Nahrung durch. Ihre Farbe ist schmutzig braun, lange schwarze Haare
hängen wüst um den Kopf und geben ihnen somit ein recht wildes
Aussehen. Sie arbeiten nicht, ihre Nahrung besteht aus Mäusen,
Ratten, Würmer und der gleichen mehr. Alles das wird von ihnen roh
gegessen. Hier ein Beispiel: Bei einem Kolonisten hier in der Nähe
ging eine Kuh ein, der Besitzer derselben zog die Haut ab und
überließ das Fleisch den Aasgeiern. Selbige hatten das Werk schon
zur Hälfte beendet, da kamen die Wilden und fraßen mit kolossalem
Appetit das übrige. Sie gingen durch die offene Landstraße, ohne
dass sie jemand ein Leid zufügten, höchstens das sie die Leute
anbettelten. Sie zeigten sich anfangs ziemlich ängstlich, was später
einer frechen Dreistigkeit Platz machte. Sie warfen bei
verschiedenen Kolonisten mit Steinen auf Dächer und Türen und
verschwanden im Wald ohne wieder gesehen zu werden. Glücklicherweise
gehörten sie nicht zum Stamme der Coroados, wie sie in den Provinzen
Parana, Santa Catarina und Sao Paulo vorkommen. Dieses Volk ist sehr
bösartig und haben in genannten Provinzen schon manche
Kolonistenglück zerstört.
Vergangenes Jahr waren die Mäuse und Ratten in ganz Brasilien
furchtbar aufgetreten. Kartoffeln wurden von ihnen aus der Erde
gewühlt. Gemüse, Zuckerrohr und alle anderen Feldfrüchte wurden
vernichtet, der Mais wurde in den Hütten gefressen. Bei Tage war
keine Maus zu sehen, aber bei Anbruch der Dunkelheit kamen sie in
furchtbaren Massen aus den Wäldern in die Maishütten geströmt. In
den Maishütten konnte man in tiefster Dunkelheit Hunderte derselben
in kurzer Zeit töten. Ein Mann öffnete die Tür und schoss mit einer
Pistole ins dunkle und siehe da, er hatte 5 Ratten erschossen.
Die Heuschrecken haben uns glücklicherweise wieder verlassen.
Hoffentlich sind sie wieder in ihrer Heimat Argentinien
zurückgekehrt.
Das Frühjahr setzt mit scharfer Trockenheit ein, wenn es so weiter
geht, haben wir nette Aussichten. Hoffentlich wird bald der ersehnte
Regen fallen.
Das 50 jährige Jubiläumsfest zu Ehren unserer Ankunft in Sinimbu
wurde am 27. Oktober 1907 glänzend gefeiert. Wir senden Euch den
Festbrief in einem anderen Kuvert. Ferner senden wir eine Postkarte
welche das Santa Cruzer Rathaus zeigt. Camara Municipal Collegio
Districtal, Distriktalschule und den Turm der protestantischen
Kirche.

Unsere Obstbäume versprechen eine reich
Ernte zu geben. Alles steht in der Blütenpracht. Versuche zur
Veredlung ausländischer Obstsorten haben wir auch schon angestellt.
Deutsche Äpfel und Birnbäume, ferner japanische Pflaumen, japanische
Blutpflaumen und andere hiesige Pflaumenarten haben wir zum wachsen
gebracht, ebenso Aprikosen.
Nun will ich mein Schreiben schließen und Euch vieltausendmal
grüßen. Wir hoffen, dass Euch dieser Brief bei bester Gesundheit
antreffen möge. Voller Erwartung auf baldige Antwort verbleibe ich
Euer Adam Claas
Grüße alle Verwandten in Hundheim. Gruß von der kleinen Erna die mit
auf dem Bild ist.
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