Hunsrücker Platt

Auswanderung nach Brasilien


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(Die Säit in Hunsricker Platt) 

 

Brasilienbrief 1914

von Theodor Claas

Oben von links: Helena, Edmundo, Adolpho, Lindolpho und Leopoldina Claas

Vordergrund von links: Erna, Ida geb. Rediske, Theodor, und Wilma Claas


Sinimbu 18. Juli 1914
 

Liebe Verwandten

Ihren Brief vom 3. Juni haben wir am 6. Juli erhalten. Irrtümlicherweise wurde er an Onkel Peter seinen Adam abgegeben, von ihm erbrochen und durchgelesen, wurde der Irrtum entdeckt.
Mit einem Gefühle innerer Zufriedenheit haben wir Ihren Brief gelesen und freuen uns aufrichtig über Ihr glücklich bestandenes Examen.
Wir gratulieren und beglückwünschen Sie zu diesem Erfolg und gestehen es uns offen, daß wir in Brasilien es nicht soweit bringen werden. Wir sind stolz darauf daß einer aus unserer Familie, besonders aus der Familie Claas es ist, der es verstanden hat, sich eine höhere Stellung in der großen Welt zu erwerben.
Ihr Gehalt entspricht nach unserem Gelde einem Werte von 5125500 rs einem Gehalt, wie es hier in Santa Cruz der oberste Munizipalbeamte (Bürgermeister) bekommt.
 

Was das Familienerbe anbetrifft, so könnte sich dies vielleicht durch Ausbildung und guten Schulen, längere Jahre hindurch fortgesetzt, besser entfalten, wie es so der Fall ist. Immerhin gibt es Personen in unserer Verwandtschaft, die nicht gerade dumm sind.
So ist z.B. Jakob Claas ein Sohn von Onkel Peter, sozusagen für die hiesigen Verhältnisse ein Allesmacher. Architekt, Tischler usw. Er ist ein Praktiker, wie man sie hier selten findet. Auch sein Bruder Peter ist fachmännisch veranlagt, nur etwas bummelig, und hat es durch Leichtsinn soweit gebracht, daß es ihm nicht vom besten geht.
Was Peter Hölz anbelangt, so können wir bestätigen, daß er wirklich was von dem Familienerbe abbekommen hat, denn er ist ebenfalls Zimmermann ohne in die Lehre gegangen zu sein.


Wie es kommt, daß die Kinder ihres Onkels Ihnen nicht schreiben, können wir ihnen momentan nicht schreiben. Die Entfernung zwischen unserer und Hölz ihrer Wohnung ist eine sehr bedeutende. Wir werden uns aber bemühen, Hölzen Ihre Wünsche beizubringen, und ihnen diesbezüglich kräftig auf den Zahn zu fühlen.


Daß sie drüben durch Vorträge mit Lichtbildern für unsere Kirchen und Schulen zu werben versuchen, ist sehr lobenswert, und ein Beweis edler Gesinnung uns Deutsch-Brasilianern gegenüber, der uns sehr erfreut.


Über die Schulverhältnisse in unserem Land können wir Ihnen nichts recht Zusagendes schreiben. Erstens sind die Schuljahre zu kurz bemessen, die Kinder gehen 3-4 Jahre in die Schule. Und zweitens sind unsere hervorragendsten Lehrer alle an Regierungsschulen angestellt, wo dann die Kinder in allen beiden Sprachen unterrichtet werden.
Dabei lernen die Kinder in der kurzen Zeit nicht richtig Deutsch schreiben, und in der Landessprache sieht es noch schlechter aus. Und so kommt es, daß die Kolonistenkinder sich in Wirklichkeit mit Brasilianern nicht verständigen können.
Und drittens, die kleinen Privatschulen mit ihrem ewigen Wechsel der Lehrer, können den Kindern so gut wie nichts bieten. Unter den Lehrern dieser letzten Schulen sind solche dabei, die nicht imstande sind richtig nach der Orthographie zu schreiben. Dieses gilt natürlich nicht für alle Privatlehrer.
 

In Kirchenangelegenheiten hatten wir dieses Jahr in allen beiden Kirchen, Sinimbu und Rio Pardinho ziemlichen Radau. Da ist zunächst die Gemeinde Sinimbu, die wollte einen Glockenturm anbauen. Als nun der festgesetzte Tag der Versammlung da war, erschien ein Gemeindemitglied, ein gewisser Hennig, der plante eine neue Kirche 1/4 Stunde unterhalb der alten Kirche zu bauen. Dadurch entstand dann der Streit. Eine Partei war für die neue Kirche, die andere für die Alte.
Um nun mit dem Bau der neuen Kirche vorwärts zu arbeiten, sollte dann eine neue Gemeinde gegründet werden, dabei langte man aber mit langen Armen hinunter in die Gemeinde Rio Pardinho, um dann auch ein paar Mitglieder abzuzwacken, und das wollten die sich nicht gefallen lassen.
Was aus der Geschichte wird, können wir heute noch nicht sagen, wenn gewisser Hennig, der zur Zeit in Europa weilt, zurückkehrt wird die Geschichte wieder von vorn anfangen, da er ein einflussreicher Geschäftsmann ist.


In unserer Gemeinde Rio Pardinho war auch eine kleine Rebellion ausgebrochen, wurde aber wieder glücklicherweise von vernünftig denkenden Männern bald wieder gedrückt. Hier handelte es sich um eine in der Nähe der Kirche gelegene Wohnung zum Zweck eines Pfarrsitzes anzukaufen.


Das Blatt "der deutsche Aussiedler ist uns hier nicht bekannt. Wo wird es ausgegeben ? Wenn sie sich über unsere Gegend interessieren und gern über unsere Umgegend etwas lesen wollen, so kann ich Ihnen als sehr verbreitetes Blatt: Die Zeitung "Kolonie" von Santa Cruz  empfehlen.


In Rio Pardinho haben wir Kolonisten eine Landwirtschaftliche Genossenschaft (Cooperativa Agricola) gegründet. Unser Hauptaugenwerk haben wir dabei auf die Verbesserung unseres heutigen Tabaks gerichtet. Ein großes Geschäft wird von der Vereinigung nebenbei geführt.
Es ist nämlich durch die Tabakfabriken in Santa Cruz so weit gekommen, daß wir den Tabakhandel zum Teil selber übernehmen mußten, um wenigstens dadurch einen besseren Preis zu erzielen. Bekanntlich schneiden die Tabakfabriken in Santa Cruz nur den schönen hellen Tabak, während sie den dunklen und II Sorte nach den großen Städten und ins Ausland schicken. Dadurch ist es gekommen, daß unser Tabak im Ausland nicht im besten Ruf steht. Wir hoffen aber bestimmt, daß durch unsere Genossenschaft (zur Zeit bestehen in unserem Munizp Santa Cruz 8-9 solcher Vereinigungen) wieder helle und dunkle Waren nach dem Ausland kommt, und dort einen besseren Wert bekommt.


Über Familienverhältnisse gibt es eine Menge zu schreiben.
Da ist zunächst Onkel Peter seine Tochter Maria zu erwähnen. Dieselbe war mit Heinrich Wegener verheiratet. Sie hatten ein großes Koloniegeschäft ganz in unserer Nähe, machten aber durch leichtsinniges Handeln und auch durch großartige Verschwendung pleite. Bei diesem Bankrott wurden die Verwandten sowie die Freunde sehr geschädigt. 5 Jahre nach diesem Vorfall, starb er in Santa Cruz, und hinterließ ihr ein gut gehendes Hotel.
Ich muß noch ein Blatt nehmen. Nach einigen Jahren ging dann ihr einziger Sohn nach den La Plata Staaten Managos und Amazonas in die Gummiwälder und übernahm eine Stelle in einem Gummigeschäft. Anfangs schrieb er öfters nach Hause, aber seit langer Zeit bleibt jegliches Lebenszeichen von ihm aus. Ob er noch lebt fragt man sich hier ?
Sie heiratete dann vor zwei Jahren einen gewissen Ortmann (katholisch) aus Düsseldorf. Nachdem beide gemeinsam das Hotel weiterführten, begab es sich, daß sie durch häuslichen Unfrieden die Wirtschaftseinrichtung verkauften und nach Berlin, Cranz an der Elbe und Hamburg reisten. Von dort sind sie wieder zurückgekehrt, wo sie aber jetzt vom Winde hingejagt sind, weiß hier kein Mensch.


Aus unserer Familie gibt es auch von Krankheiten zu berichten. Meine Schwester Emma ist schon viele Jahre krank, sie ist schon bei allen Ärzten in Santa Cruz gewesen. Kürzlich kam sie erst nach 5-wöchentlichem Aufenthalte in Dr. Hoffmanns deutschem Sanatorium nach Hause, ohne rechte Hilfe gefunden zu haben.
Meinem Bruder Hermann seine Frau ist auch 4 Wochen dort gewesen, sie ist ziemlich wieder hergestellt.
Bruder August hat sich eine Mahlmühle gebaut, er wohnt in der Querpikade dicht bei Jakob Hölz.
Maria, die älteste Schwester wohnt in Villa Teresa, es geht ihr gut und ihrer Familie.
Bei uns im Vaterhaus ist soweit noch alles gesund. Vater und Mutter sind munter und rüstig.


Wir haben dieses Jahr einen sehr milden Winter, den ganzen Winter hatten wir gar keinen Reif, Schnee kennen wir bei uns nicht. Voriges Jahr war es ebenfalls im Winter immer freundliches Wetter. Was uns nicht gefällt, ist der viele Regen der zur Zeit hier fällt. Unsere Straßen sind dadurch auf Stellen fast unpassierbar geworden. Aus Santa Cruz kamen in der Sommerzeit öfters die Städter auf Automobilen nach Sinimbu. Dieses Vergnügen ist ihnen jetzt durch die schlechten Straßen versagt.


Ich hätte eine Bitte an Sie. Wenn Sie noch mal schreiben, seien Sie so gut und setzen Sie hinter den Namen Adam Claas ein "tio" dahinter, das ist soviel wie Onkel und der Brief wird direkt in unser Haus geschickt. Es ist schon öfters vorgekommen, daß Briefe an meinen Vater adressiert, an Adam Claas Sohn von Peter Claas abgegeben wurden.
 

Ich will nun schließen und herzlich grüßen, Grüße von Mutter und Vater an Sie und ihre Familie, ebenso grüßen sie alle Verwandten aus Hundheim von Ihnen. In seinem Auftrag habe ich diesen Brief geschrieben und hoffe daß er Euch in bester Gesundheit antreffen möge.
 

Und nochmals seid alle recht herzlich gegrüßt von Ihrem ergebenen Theodor Claas.
 

Nachtrag: Da sie das letzte Bild ihres Vaters an Onkel Hölz geschickt haben, war es sein und auch meines Vaters Wunsch, Ihnen das Orginalbild nebst einem Bilde einer Neuaufnahme zurückzusenden.


Der Originalbrief als PDF: Brasilienbrief 1814

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